Der Unfall mit seinen physischen und psychischen Folgen

 

Nach einem Unfall beim Fels-Klettern (Absturz) im September 2004, brach ich mir beide Unterschenkel (US) und zog mir zudem ettliche Prellungen und Schürfungen am gesamten Körper zu. Glück im Unglück war, dass ich keine Verletzungen an Kopf und Rücken abbekommen hatte, sonst hätte man sich den Weg ins Krankenhaus evtl. sparen können.

Die Bergung gestaltete sich für die Sanitäter und die Bergwacht sehr kompliziert, da sich die Absturzstelle in sehr unzugänglichem Terrain befand (sehr steiles Waldstück).

 

Links, unkomplizierter Schienbeinbruch (Tibiafraktur), der mit 3 einfachen Schrauben wieder fixiert wurde. Diese Schrauben wurden im Unterschenkel bis heute belassen. Nach einer Zeit von ca. 2-3 Jahren sind diese so im Knochen fest- bzw. eingewachsen, dass beim Versuch des Entfernens der Schrauben die Schraubenköpfe abbrechen würden. Da ich bis heute keine Probleme damit habe und hatte, ließ ich sie auf Anraten meines Arztes nicht entfernen. So spart man sich gleich wieder mal einen Eingriff. Denn jede OP und ist sie noch so klein, beinhaltet immer ein gewisses Restrisiko.

 

Weitaus komplizierter gestalteten sich die Verletzungen an meinem rechten Unterschenkel. Hier zog ich mir einen glatten Wadenbeinbruch (Fibula-Fraktur) und einen offenen Trümmerbruch des Schienbeines (Tibia) zu, was zusätzlich zu einem hohen Blutverlust führte.

Im Krankenhaus wurde das rechte Bein erst einmal mit einem 2-dimensionalen einfachen Fixateur fixiert. Hier stellte man nach Tagen fest, dass ich zu dem ganzen Übel auch noch eine Osteitis (Knochenentzündung) hatte. Die Blutwerte waren extremst schlecht, bedingt durch den hohen Blutverlust und die Osteitis. Wie diese Erreger nun in die Wunde gelangten, über den Waldboden oder über Keime im Krankenhaus, das ist bis heute noch offen. Leider lag ich in diesem Krankenhaus nach meinem Dafürhalten viel zu lange und bin nach mehrmaligem Nachhaken bei den Ärzten dann doch endlich in eine Spezialklinik umgelegt worden, da sich die Ärzte nicht so richtig an diese Verletzung rantrauten.

Im neuen Krankenhaus wurde ich relativ schnell nochmals operiert. Durch die Osteitis und der eidrigen Entzündung im rechten Unterschenkel stellten die Ärzte fest, dass das komplette Sprunggelenk vom Eiter zerfressen und damit „kaputt“ war. Desweiteren wurden sämtliche Knochenbruchstücke der Tibia aus dem US entfernt, bedingt auch durch die starke Knochenentzündung. Der Bruch des Wadenbeins (Fibula) wurde mit einer Metallschiene und mehreren Schrauben fixiert. Später wurde diese Metallschiene samt dem unteren gebrochen Wadenbeinstück entfernt, da es einfach nicht zusammenwachsen wollte. Das Bild meines rechten Unterschenkels das sich mir nach dieser Operation (OP) bot, war für mich erst einmal ziemlich abschreckend. Ein sogenannter Ilizarov-Ringfixateur zierte nun mein rechtes Bein. Ein schauriger Anblick, an den ich und natürlich auch mein Umfeld sich erst einmal gewöhnen mussten. Ab diesem Moment wurde mir erklärt, dass es in meinem Falle um „Beinerhalt“ geht. Sprich, entweder das geplante Prozedere (ich gehe im Text weiter unten darauf noch genau ein) hat Erfolg und ich behalte mein eigenes Bein oder im schlimmsten Falle muß der Unterschenkel ab dem Knie amputiert werden!

Wenn man Dieses vom Arzt hört, beginnen die grauen Zellen erst einmal zu rotieren.

Einen Kletterer hatten die Ärzte bis dahin noch nicht, bisher war diese Art von Verletzung hauptsächlich bei Motorradfahrtern nachschwerem Unfall gegeben.
 

Beinverlängerung:

Da in meinem Falle insgesamt ca. 13cm Schienbeinknochen fehlten, musste in einer 2. Operation die Grundlagen für eine Beinverlängerung gelegt werden. Hierzu meißelten die Ärzte mein rechtes Schienbein an einer gesunden Stelle durch. Meißeln deshalb, weil ein durchgemeißelter besser blutet wie ein durchgesägter Knochen und genau dieses Blut und die Knochenzellen lassen den sogenannten Kallus entstehen. Dieser Kallus ist neues Knochengewebe nach einer Fraktur, in diesem Falle der Beinverlängerung halt künstlich herbeigeführt. Dieses neue Knochengewebe ist nur ziemlich weich und dünn zu Beginn seiner Entstehung. Es soll die beiden Knochenteile wieder zusammenwachsen lassen, im Falle eines „normalen“ Beinbruches. In dem Falle einer Kallusdistraktion lässt man dies natürlich nicht zu, denn der Beinknochen soll ja neu wachsen bzw. verlängert werden. Dies erreicht man indem man diese weiche Kallusmasse, nach einiger Zeit auch Kallusschlauch genannt, mit Hilfe eines Fixateur extern in die Länge zieht. Täglich mit einem 10er-Gabelschlüssel 4x ¼ mm den Kallusschlauch ziehen, also 1mm jedenTag. Dies kann man sich wie eine dünne Kaugummimasse vorstellen, die innen hohl und leer ist. Diese ziehe ich, je nachdem wie viel Zentimeter Knochen nachgezüchtet werden müssen, mehrere Wochen bzw. Monate. In meinem Falle waren es ca. 13cm. Es gibt auch Tage wo mit der Distraktion ausgesetzt werden soll. Das Ganze wird relativ oft per Röntgenbild kontrolliert. Hierbei kann das Wachstum bzw. die gezogene Länge des Kallusschlauches gut beobachtet werden. Nachdem die gewünschte Länge des Knochens erreicht wurde geht es an das sogenannte Aushärten des Knochens. In meinem Falle ging dies ziemlich langsam voran, so dass ich den Fixateur ganze 2 Jahre am rechten Unterschenkel hatte.

Da der Prozess des Aushärtens nicht voranging und ich durch den Fixateur in der Belastung ziemlich eingeschränkt war, entschieden die Ärzte den Fixateur nach 2 Jahren zu entfernen und ihn durch einen Marknagel zu ersetzen. Hiermit wollten die Ärzte erreichen, dass ich mein Bein mehr und nach einiger Zeit auch relativ schnell voll belasten konnte. Beim Entfernen des Fixateurs und Einbau des Marknagels in den US wurde mein Kallus leider wieder etwas zusammengeschoben. Dies hatte zur Folge, dass mein Bein für immer 4cm zu kurz bleiben sollte. Doch diese OP war dann auch endlich der Durchbruch was die Aushärtung anging. Nur durch die jetzt ständige Belastung des Beines härtete der „neue Knochen“ endlich langsam aus, was aber ebenfalls nochmals 2 jahre dauerte. Zusätzliche Calziumpräparate sind als Unterstützung schön und nett, aber nur die Belastung allein bringt die wirklichen Erfolge beim Aushärten des neu gezüchteten Knochens.  Nach dieser Zeit wurde der Marknagel, bedingt auch durch ständige Entzündungen im Unterschenkel durch das Metall des Marknagels bzw. durch die Osteitis, entfernt.

 

Jetzt musste ich wieder zu den Krücken greifen und mich in der Belastung langsam von geringer bis zur Vollbelastung vortasten. Am Anfang war die Angst groß, dass der neue Knochen nicht halten könnte, doch nach einigen Wochen „warf ich die Krücken in den Keller“ und ging von da ab ohne Gehhilfen. In den folgenden 12 Monaten härtete der Knochen vollens aus und ist heute wieder gut und voll belastbar.

Meine gesamte Odyssee dauerte so gut 5 1/2  Jahre lang und ich hatte insgesamt ca. 25 Operationen in 3 verschiedenen Kliniken. Durch eine ca. 4 Jahre lange relativ geringe Belastung meines rechten Beines begleitete mich in dieser Zeit auch eine ständige starke Osteoporose. Diese brachte mir, bedingt durch kleine Unaufmerksamkeiten beim Gehen und Belasten, 2 zusätzliche kniegelenksnahe Frakturen ein.

Durch das ca. 4cm zu kurze Bein und das völlig versteifte obere und untere Sprunggelenk muss ich jetzt immer Schuhe mit Sohlenerhöhung und abgerundeter Sohle tragen, doch damit kann ich gut leben –
wie gesagt, LEBEN.
 

Abschließend möchte ich sagen, dass es für mich genau 3 entscheidende Faktoren zum Erfolg gab:
 

1)      Ich hatte wahnsinniges Glück, dass sich ab meinem 2. Klinikaufenthalt ein Oberarzt meiner annahm, zu dem ich ein sehr großes Vertauen aufbauen konnte. Er stand mir immer mit Rat und Tat zur Seite und nahm sich wahnsinnig viel Zeit für mich, bis ich dann wieder beruhigt und super betreut die Klinik verlassen konnte. Diesen Arzt begleitete ich im übrigen dann auch in meine 3. Klinik, in der er Heute als Chefarzt im Bereich der Wiederherstellungs-Chirurgie arbeitet.
 

2)      Ich bekam von meiner Lebensgefährtin, dem familiären Umfeld und von Freunden so viel Rückhalt, was mir sehr über diese lange, harte Zeit mit viel Entbehrungen hindurchgeholfen hat.
 

3)      Und da an die eigene Psyche meiner Meinung nach die größte Herausforderung gestellt wir, war für mich das immer positive Denken und der Wille zur Selbstheilung unabdingbar und mit am wichtigsten für meinen Erfolg. Was mir persönlich sehr geholfen hat war meine Einstellung. Fast immer gut drauf, trotzdem oft ein Lachen auf den Lippen und:  ...“im schlimmsten Falle verliere ich meinen Unterschenkel, aber mein Leben habe ich noch immer“... . 

Im Übrigen, es geht immer noch viel viel schlimmer und Selbstmitleid hat noch niemandem genutzt.